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Prof. Dr. Winfried Lenders
Institut für Kommunikationsforschung und Phonetik
der Universitaet Bonn
Poppelsdorfer Allee 47, D-53115 Bonn
Tel: +228/735638 Fax: 228/735639
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To appear in LDV-Forum, 1999, 1/2.

Roland Hausser: Foundations of Computational Linguistics.
Man-Machine Communication in Natural Language.
Berlin Heidelberg: Springer, 1999. ISBN 3-540-66015-1


Rezensiert von Winfried Lenders, Bonn

Das vorliegende Werk von Roland Hausser ,Foundations of Computational Linguistics" ist, auch wenn es sich streckenweise einen solchen Anstrich gibt, weit mehr als ein bloßes Lehrbuch der Computerlinguistik. Das Buch erhebt vielmehr den Anspruch, Sprachtheorie zu bieten, ja darüber hinaus Kommunikationstheorie im Sinne einer Darstellung der theoretischen Grundlagen von Mensch-Machine-Kommunikation in natürlicher Sprache. Kommunikationstheorie auf der Grundlage von Prinzipien der Computerlinguistik darzustellen, dahinter steht ein besonderes wis- senschaftstheoretisches Verständnis von Computerlinguistik: Denn dieser noch relativ jungen Disziplin wird die Aufgabe zugeschrieben, Modelle sprachlicher Kommunikation, Modelle kommunikativen Verhaltens zu entwickeln, und zwar auf dem Wege der Algorithmisierung und Formalisierung. Es geht darum, wie man auch mit Einleitung S. 4 sagen könnten, einen Computer als Kommunikator auszubilden, also ein funktionales Modell der natürlich-sprachlichen Kommunikation aufzustellen. Hausser hat für eine Theorie dieser Art eine besondere Bezeichnung geprägt. Er nennt sie SLIM-Sprachtheorie, eine Abkürzung, hinter der sich folgendes verbirgt:

0. S = Surface compositional (Methodologisches Prinzip)

SLIM verwendet eine oberflächenkompositionale Syntax und Semantik. in der nur konkrete Oberflächen zusammengebaut werden dürfen, unter Verzicht auf Null-Elemente, Identitäts abbildungen oder Transformationen.

1. L = Linear (=Empirisches Prinzip)

SLIM verwendet eine zeitlineare Grammatik, die die empirische Tatsache formalisiert, dass in den natürlichen Sprachen immer ein Wort nach dem anderen geäußert bzw. wahrgenommen wird.

2. I = Internal (Ontologisches Prinzip)

SLIM behandelt die sprachliche Interpretation als einen Sprecher-Hörer-internen kognitiven Prozess.

3. M = Matching (Funktionales Prinzip)

SLIM behandelt Referenz auf der Grundlage eines Abpassens (matching) zwischen wörtlicher Sprachbedeutung und Verwendungskontext.

(zitiert nach der Rohfassung der noch im Erscheinen begriffenen dt. Ausgabe des Buches).

Durch diese Markierungspunkte ist der Rahmen abgesteckt für ein umfassendes Theoriegebäude, das Hausser in 24 Kapiteln, gleichmäßig verteilt auf 4 große Teile präsentiert. Das Buch als ganzes beruht auf der Idee, Sprache nicht als abstraktes Konstrukt zu behandeln, sondern als Medium, das zusammen mit den Prozessen des Wahrnehmens, des Denken und des Verstehens der Kommunikation zwischen Individuen dient. Zu Beginn eines jeden Teils und eines jeden Kapitels zeigt der Autor selbst dem Leser den roten Faden, der das Buch durchzieht: Der Weg führt von den einfachen zu den komplexen Hilfsmitteln der sprachlichen Kommunikation und von den einfachen zu den komplizierteren Methoden der formalen Beschreibung. Gleichzeitig werden zahllose in der Sprach- und Kommunikationstheorie, der Mathematik und Logik, der Informatik und Physik schon vorliegende Entwürfe zur Sprache und ihrer Beschreibung vorgestellt und besprochen.

Der erste große Teil (Kapitel 1 - 6) trägt die Überschrift ,Theory of Language". Ausgangspunkt sind hier allgemeine Grundlagen der Kommunikation und der Darstellung sprachlicher Zeichen im und für den Computer. Es werden die grundlegenden Aspekte maschineller Sprachanalyse im Rahmen der umfassenderen Aufgabe der Mensch-Maschine-Kommunikation, die Möglichkeiten einer technologischen Umsetzung dieser Forschungen, z.B. in Information Retrieval Systemen und maschinellen Übersetzungssystemen, beschrieben. Ab Kapitel drei wird Sprachtheorie als Kommunikationstheorie dargelegt. In diesen Kapiteln wird durch die ,Konstruktion" einer Roboters namens Curious (S. 51: ,in terms of constructing a robot named curious") die Komponenten der sprachlichen Kommunikation in einem prototypischen Modell dargestellt, das es - ähnlich wie Winograds SHRDLU-System - mit einer vereinfachten Welt zu tun hat. Im Unterschied zu und in Erweiterung von SHRDLU geht es Curious jedoch auch um das Wahrnehmen und Erkennen der Welt bzw. um die Art und Weise, wie die ,Welt" als ,Umwelt" oder ,Kontext" des Roboters von diesem wahrgenommen und erkannt werden kann. Der Übergang von Wahrnehmen zum Erkennen wird dabei als eine Art Mustererkennung aufgefasst, durch welche die Parameter eines in der Umgebung wahrgenommene ,Objekts" gleichsam in das Innere des ,kognitiven Agenten" transportiert werden und dort ein ,Instantiierungs-Konzept`, I-Konzept genannt, bilden. Dieses wird dadurch ,erkannt", dass es ,matcht" mit einem M-Konzept, das sich als ,type", vielleicht auch ,prototype" innerhalb des kognitiven Agenten befindet. Es wäre hier - wie auch später - zu fragen, wie sich die von Hausser hier eingeführten Begriffe wie I-Konzept, M-Konzept etc. zu verschiedenen älteren kognitiven Modellen verhalten, etwa zu der Theorie der Mentalen Modelle von Johnson-Laird, der ältern Frame-, Script- und Schema-Theorien etc. Abgesehen von dieser Frage gelingt es Hausser jedoch sehr gut, mit Hilfe der beinahe genialen Annahme eines einfachen Roboters die grundlegenden Handlungen beim Wahrnehmen und Erkennen, also bei kognitiven Operationen darzustellen. In den Kapiteln 4 und 5 wird der zunächst sprachlose Curious mit Sprache ausgestattet, die ihn dann - über seine Fähigkeiten als wahrnehmenden, erkennenden und handelnden Agenten hinaus - auch zu sprachlicher Kommunikation befähigt. Hierzu wird -auch unter Hinweis auf Sprachtheorien wie die von Austin, Frege, Grice und Wittgenstein - im Gesamtrahmen der SLIM-Theorie eine Referenztheorie entwickelt. Gemäß dieser Theorie wird der Referenzprozess als eine interne ,matching procedure` zwischen der literalen Bedeutung, d.i. dem M-Konzept, und einem entsprechenden kontextualen Referenten, dem I-Konzept verstanden. Die ,literale Bedeutung` (literal meaning) kommt durch Konvention zustande. Hausser unterscheidet also zwei Arten von Bedeutung; er nennt sie meaning1 und meaning2: meaning1 ist die literale Bedeutung, meaning2 die der Äußerung eines Sprechers zugeordnete Bedeutung, also wohl diejenige, die sich aus dem I-Konzept ergibt. Auch hier stellt sich die Frage, wie diese Referenztheorie, die sich leicht zu einer Verstehenstheorie erweitern ließe, im Vergleich zu anderen Konzeptionen einzuordnen ist (z.B. in Relation zu Winograds Konzept eines operationalen Verstehens und zu den entsprechenden Vorstellungen der Kognitionspsychologie). Für Hausser ist der Unterschied klar: es handelt sich um eine ,interne` matching procedure, während andere Theorien den Vorgang des Referenz (und auch des Verstehens) gleichsam von aussen betrachten, als etwas, das sich zwischen Sprecher und Hörer abspielt, und nicht in ihnen (intern). Genau hier aber wäre wiederum zu prüfen, wie sich Haussers Vorstellungen zu anderen Theorien verhalten, z.B. zu Winograd, der einerseits eine ,interne` Repräsentation seiner (Modell-)welt konstruiert, wenn diese auch gesetzt und nicht wahrgenommen wird, und andererseits eine interne Repräsentation der Äußerungen des Benutzers, die beide aufeinander abgebildet werden müssen, damit es zu Referenz und Verstehen kommen kann.

Die letzten beiden Kapitel dieses Teils sind im Großen und Ganzen dem Zeichencharakter der Sprache, den Zeichentypen und ihrer Interpretation im Rahmen der SLIM-Theorie und den innnertextualen Referenzen und Koreferenzen gewidmet.

Im zweiten Teil ,Theory of Grammar" (Kap. 7 - 12) steht die Sprache als wichtigstes Kommunikationsmittel im Mittelpunkt. Es geht nicht mehr um das einzelne Zeichen, mit dem zu kommunizierende Entitäten bezeichnet werden, oder um das singuläre Ereignis selbst, das kognitiv und sprachlich verarbeitet wird, sondern um Zeichenkomplexe, um die Art und Weise, wie Zeichen zu komplexen Gebilden verknüpft werden und um die wissenschaftliche Beschreibung dieser Objekte und Vorgänge. Es geht - kurz gesagt - um die grundlegenden Methoden der formalen Beschreibung komplexer Sprachgebilde, also um Grammatiktheorie. Was aber heißt Grammatiktheorie? Um dies zu klären, geht Hausser - auf der Basis des immer noch die Diskussion beherrschenden Paradigmas der Generativen Grammatik - auf die Ursprünge des generativen Konkatenierens von Symbolen zurück und unterscheidet unter Gesichtspunkten einer formalen Sprachtheorie drei elementare Formalismen, die Kategoriale Grammatik (C-Grammar), die Phrasenstrukturgrammatik (PS-Grammar) und die Links-Assosiative Grammatik (LA-Grammar). Zunächst werden in den Kapiteln 7 und 8 die beiden ersten Grammatiktypen ausführlich bezüglich ihrer grundsätzlichen Eigenschaften und ihrer Mächtigkeit erörtert. Aufgrund seines sehr systematischen Ansatzes gelingt es Hausser dabei, die wichtigsten Unterschiede und Besonderheiten dieser Grammatiktypen klar zu machen. Ganz nebenbei oder vielmehr folgerichtig werden in diesem Kontext auch die für ein Lehrbuch unverzichtbaren Grundlagen des Arbeitens mit formalen Grammatiken und des Parsing (deklarativ vs. prozedural, kontextfrei vs. kontextsensitiv, top-down vs. bottom-up etc.) erklärt. Die Darstellung mündet in einer Liste von Desiderata besonders der PS-Grammatiken, ja eigentlich kommt Hausser zu einer vernichtenden Beurteilung dieses Grammatikformalismus, und zwar in allen zur Zeit aktuellen Versionen (GPSG, HPSG, LFG), die er allesamt als dem nativism verpflichtet sieht, also der These von der Existenz allgemeiner angeborener sprachlicher Grundmechanismen. Bei aller Prominenz, zahlreichen Revisionen, vielen Anhängern etc. sei die Entwicklung der PSG dennoch ein textbook example für mangelnde Konvergenz. Ein wichtiges Argument für diese Sichtweise sei, dass in der Tat die praktischen Systeme der maschinellen Sprachverarbeitung sich entweder zu einer Theorie nur im Sinne eines Lippenbekenntnisses äußern oder auf Theorien gänzlich verzichten. Gründe dafür sind nach Hausser, dass sich auf der Basis des nativism keine funktionale Theorie der Kommunikation aufbauen lasse und dass PS-Grammar-Formalismen inkompatibel seien mit ,the input-output conditions of the speaker-hearer." (179). Diese Desiderate würden, wie Hausser meint, durch den dritten Grammatik-Formalismus, die LA-Grammatik, aufgehoben, wie in den folgenden Kapiteln 10 -12 zunächst allgemein, und dann im dritten Teil des Buches praktisch dargelegt wird.

Der Formalismus der LA-Grammatik (LAG) wurde von Hausser entwickelt und wird hier erstmals in umfassender Form vorgestellt und mit anderen Formalismen (C-Struktur, PS-Struktur) konfrontiert. Er sei ,input-output equivalent with the speaker-hearer" (S. 183). Es wird damit ein Grammatiktyp vorgeschlagen, der sprachliche Äußerungen, die wir als Menschen ,zeit-linear` produzieren und auch ,zeit-linear` wahrnehmen, in gleicher Weise ,zeit-linear` abarbeitet bzw. ableitet. Dabei bleibt die Interpretation eines erkannten Elements, z.B. einer Präpositionalphrase, deren Zuordnung zu einem Verb oder zu einem Nomen, dem Referenzprozess, der in der Kommu- nikation zwischen Sprecher und Hörer abläuft, überlassen. Auf diese Weise erhält Hausser weit weniger komplexe Strukturen, denn es wird darauf verzichtet, alle möglichen syntaktischen Beziehungen zwischen Konstituenten und semantischen Lesarten darzustellen. Die LAG vermeidet also die in anderen Formalismen immer anzunehmenden vielfältigen Interpretationen von Sätzen; dies sei der natürlichen Kommunikation adäquater. Hauser wird damit zwar der Tatsache gerecht, dass wir uns ,zeit-linear` sprachlich äußern und sprachliche Äußerungen ,zeit-linear` wahrnehmen; es sei hier aber offen gelassen, ob damit auch die planerischen oder strategischen Akte, die beim Entwurf und bei der Strukturierung einer Äußerung in ihrer Gesamtheit, noch ehe sie hervorgebracht ist, am Werke sind, gerecht wird.

Der dritte Teil (Kap. 13 - 18), der mit ,Morphology and Syntax" überschrieben ist, konkretisiert dieses methodologische Konzept der LAG in Bezug auf die grundlegenden sprachlichen Phänomene der Formenbildung und Syntax. In schöner Klarheit werden hier sowohl die grundlegenden Begriffe der Morphologie (Kap. 13) und Syntax (Kap. 16) dargelegt, als auch -unter Anwendung der LA-Grammatik - konkret Formalismen zur Erkennung von Wortformen (Kap. 14) und syntaktischen Strukturen (Kap. 17 und 18) vorgestellt. Auf dem Gebiet der Morphologie steht dabei das von Hausser entwickelte System La-MORPH im Zentrum, auf das hier nicht näher eingegangen wird, da es schon früher beschrieben und seine Funktionstüchtigkeit in praktischen Tests nachgewiesen wurde (vgl. Hausser (Hg.): Linguistische Verifikation. Deokumentation zur Ersten Morpholympics 1994. Tübingen: Niemeyer, 1996). In der Syntax strebt Hausser eine reine Oberflächensyntax an, in der es nicht um syntaktische Funktionen oder Rollen geht, sondern nur um die Wohlgeformtheit der Sätze, die sich aus den morphosyntaktischen Merkmalen ergibt, die in den Wortformen angelegt sind. Sätze sind Konstruktionen, zwischen deren Teilen syntagmatische Beziehungen bestehen, und zwar solche der Valenz, der Kongruenz und der Stellung. Nur um diese drei ,Grundprinzipien der natürlichsprachlichen Syntax" geht es. Bei Ableitung eines Satzes ist zu garantieren, dass die Valenzbedingungen der Wörter erfüllt sind, Kongruenz zwischen den Wortformen erreicht ist und nur zulässige Wortstellungen erzeugt werden. Jede Wortform ist Valenzträger und hat ,Valenzstellen`, gleichsam Eigenschaften, die auf die nachfolgende Wortform schließen lassen. Diese Eigenschaften müssen in dem Lexikon, auf das die syntaktische Beschreibung zugreift, kodiert sein oder sich aus der vorausgehenden morphologischen Analyse der Wortformen ergeben. Zu diesen ,Eigenschaften` gehört z.B. die Angabe der zweiten Person bei ,du" und ,liest", die - wenn diese Wortformen im Text zeitlinear auftreten - zur Überprüfung ihrer Kongruenz dienen. Die Valenzstellen fungieren gleichsam als slots, die im Verlauf der zeitlinearen Analyse durch geeignete filler ausgefüllt werden müssen. Wie dies im LA-Formalismus umgesetzt wird, zeigt Hausser unter Verwendung algebraisch formulierter Satzmuster. Die Anwendung dieser Formalismen wird schließlich an Fragmenten der deutschen und englischen Syntax veranschaulicht. Dabei beschränkt sich Hausser auf den deklarativen Hauptsatz, und hier vor allem auf die Nominalgruppen als nominale filler des verbalen Valenzrahmens, jedoch werden auch diskontinuierliche Sequenzen und Distanzstellungen, z.B. bei Auxiliarkonstruktionen, betrachtet.

Wenn Hausser sich in der Syntax ganz auf Oberflächenkonkatenationen beschränkt, so tut er das aus guten Gründen, die in seiner umfassenderen SLIM-Theorie motiviert sind. Denn die Auswahl der Satzkonstruktion aus einer Vielzahl von Möglichkeiten, die Wahl eines Tempus zum Ausdruck einer bestimmten Befindlichkeit in der Zeit, die Wahl eines Modus, die Wahl gerade ,dieser` Wortstellung und nicht einer anderen usw., dies alles sind Prozesse, die im Sprachbenutzer ablaufen. Sie finden außerhalb der Syntax in den Teilen des ,kognitiven Agenten` statt, die Hausser Semantik und Pragmatik nennt.

Diesen Teilen widmet er sich nun im vierten Teil (Kap. 19-24) des Buches, der mit ,Semantics and Pragmatics" überschrieben ist. Man könnte meinen, nun folge er der alten semiotischen Trias Syntax, Semantik, Pragmatik, nach der sich so viele Lehrbücher der Linguistik in ihrem Aufbau richten. Weit gefehlt! Hausser geht vielmehr ganz folgerichtig seinen Weg, wie er in den ersten theoretischen Teilen angelegt ist, weiter, ein Weg, der jetzt von den komplexen sprachlichen Zeichen, den Wortformen und Sätzen, zum Bezeichneten führt, oder, um Haussers Begriffe zu benutzen, der von der Ebene I, der sprachlichen Oberfläche (language surface) zur Ebene II, dem semantischen Inhalt (semantic content) führt. In konkreten natürlichsprachlichen Systemen wird der Weg von Ebene I nach Ebene II gemeinhin als semantische Interpretation bezeichnet. In diesem Zusammenhang tritt ein Kerngedanke des Buches und seiner leitenden Theorie besonders deutlich hervor: Hausser erläutert in knapper und präziser Form, was den drei Typen semantischer Systeme, dem semantischen System der logischen Sprachen, dem der Programmiersprachen und dem der natürlichen Sprache gemeinsam ist und was sie trennt. Ohne hier zuviel zu verraten: Es wird in einfacher, doch überzeugender Form dargestellt, was semantische Interpretation in künstlichen Sprachen und in der natürlichen Sprache heißt. Dabei werden die Grundkonzepte der modelltheoretischen Semantik von Tarski verständlich erörtert und in ihrer Anwendbarkeit auf natürliche Sprachen geprüft. Indem er weiterhin erläutert, was vom Standpunkt der modelltheoretischen Semantik aus Wahrheit ist, was man in dieser Hinsicht unter Bedeutung eines Ausdrucks zu verstehen hat und in welchem Sinn in diesem Zusammenhang von Ontologie gesprochen werden kann, schlägt Hausser die Brücke zwischen logischer und linguistischer Semantik. Es versteht sich, dass dabei auch die sprachtheoretischen Konzeptionen von Frege, Carnap und anderer Autoren der analytischen Sprachforschung zur Sprache kommen. Es geht nicht um bloße Deskription der Gegebenheiten, also nicht z.B. um die vielfältigen Möglichkeiten der Interpretation eines Satzes, oder um die Möglichkeiten, ein Wort von einem anderen hinsichtlich seiner ,Bedeutung` zu unterscheiden, sondern um den Prozess der Benutzung von Sprache in kommunikativen Zusammenhängen. Indem Hausser dies auseinanderlegt, wird auch deutlich, auf welche Weise die Computerlinguistik Begriffe wie Bedeutung, Interpretation und Verstehen klären kann.

Eine Konsequenz des modelltheoretischen Ansatzes liegt darin, dass das Wissen von Sprecher und Hörer in der Kommunikation intern repräsentiert sein muss. Hausser schlägt hierfür eine database vor, die gleichsam das interne Weltmodell des Sprechers und des Hörers enthält. In dieser sind propositionale Ausdrücke enthalten, von Hausser proplets genannte, sowie woplets, wortbezogene Ausdrücke, und Begriffe, die sog. coplets. Zwischen diesen drei ,Entitäten` der systeminternen Datenbank und den früher schon definierten Konzepttypen M-concept und I-concept bestehen Beziehungen, die ausführlich erläutert werden. Ebenso wird in einer ganzen Reihe von Modellen vorgeführt, wie sich der Autor den Ablauf der syntaktisch-semantischen Interpretation vorstellt. Auch hier wird, wie schon in anderem Zusammenhang bemerkt, leider kein Bezug zu einschlägigen Modellen der kognitiven Psychologie der 80er und 90er Jahre hergestellt, zu denen ähnliche Überlegungen führten.

Der Einbau in den kommunikativen Zusammenhang soll schließlich in Haussers Gesamtgebäude die Pragmatik leisten. Hausser nennt dies ,pragmatische Interpretation` (S. 467). Allerdings bestehen hier noch begriffliche Unsicherheiten, denn offenbar bedeutet ,pragmatische Interpretation` verschiedenes, je nachdem, ob man sich um ,hearer mode` oder im ,speaker mode` befindet (S. 484 ff.). Es hat den Anschein, als ob Pragmatik hier ganz anders verstanden wird, als es seit Morris, Austin und Searle in der Linguistik üblich ist. Auch hier fehlen leider klärende Worte.

Was mit Haussers Buch insgesamt für die Computerlinguistik gewonnen ist, kann man vielleicht am besten verdeutlichen, wenn man einige Leitideen, die das Buch durchziehen, nochmals zusammenfassend beurteilt.

Eine erste Leitidee besteht darin, dass das Buch ein Gesamtkonzept der sprachlichen Kommunikation und ihrer Beschreibung mit algorithmischen Mitteln präsentieren will. Gegenüber anderen Ansätzen ist dabei ungewöhnlich, dass maschinelle Sprachanalyse nicht als ,Spiel" angesehen wird, in welchem das analysierende System alle strukturellen und interpretatorischen Möglichkeiten einer Äußerung abzuleiten und Mehrdeutigkeiten aufzulösen hat. Vielmehr findet Sprachanalyse zwischen Kommunikationspartnern statt, von denen einer ein Mensch, der andere auch ein Computer sein mag. Hausser konstatiert, dass wir erfolgreich kommunizieren, mit Menschen und mit Computern. Daraus ist die Aufgabe der Computerlinguistik abzuleiten, nämlich zu klären, wie Sprache dabei funktioniert. Die Auflösung von Problemen, auch solchen der Sprachanalyse selbst, findet im übergeordneten - pragmatischen -Problemlösungsprozess durch den Nutzer (also den Interaktionspartner Mensch) statt, für den die Sprachanalyse die notwendigen Strukturen ermittelt. Ein solches Gesamtmodell ist begrüßenswert. Es liegt damit im Grunde die Ausformulierung einer Idee vor, die schon Ende der 70-er Jahre in Gerold Ungeheuers M-C-Modell der Computerlinguistik entwickelt wurde. Es handelte sich dabei um den Vorschlag, sprachverarbeitende künstliche Systeme nicht als autonome Systeme zu konzipieren, sondern als Systemverbünde mit den Partnern Mensch (M) und Computer (C). Natürlichsprachliche Prozesse sollten in Form problemlösender Interaktionen zwischen Computer und Mensch stattfinden, also in Form pragmatischer Prozessen, die den Benutzer einbeziehen und für die durch die Maschine ,nur` die strukturell aufbereiteten Daten bereitgestellt werden. Computerlinguistische Lösungen haben in diesem Modell nichts mit der Beschreibung der angeborenen Sprecher-Hörer-Mechanismen und Kompetenzen zu tun, eine These, die mit Haussers vehement vorgetragenen Argumenten gegen den von ihm so genannten Nativismus übereinstimmt.

Als weitere Leitidee des Buches ist auszumachen, dass gleichsam als Manifestation des vorgetragenen Konzepts ein ,kognitiver Agent` modelliert wird, der mit Sprache begabt ist und sich in einer Umwelt bewegt. Die ,Sprachkompetenz` dieses kognitiven Agenten folgt aber nicht den Ideen der ,nativistischen` Theorien, sondern den Prinzipien der Linksassoziativen Grammatik, seine kognitive Kompetenz folgt denen der modelltheoretischen Semantik. Wenn man auch über die Wertungen streiten kann, die das Buch in Bezug auf andere Grammatiktheorien enthält, so sind doch die vorgetragenen Grundgedanken plausibel, und die Konsequenz, mit der dieses Konzept durchgehalten wird, bewundernswert.

Eine letzte Leitidee, die hier zu würdigen bleibt, wird durch den Anspruch des Buches markiert, neben der Präsentation einer computerorientierten Kommunikations- und Sprachtheorie sich auch als Lehrbuch zu eignen. Dieser Anspruch wird erfüllt. Denn es finden sich, wie schon dargestellt werden konnte, neben den theoretischen ,Hintergründen`auch viele einfache praktische Beispiele und Erklärungen auch kompliziert scheinender Sachverhalte (z.B. die Ableitung der drei elementaren Grammatikformalismen). Der Lehrbuchcharakter des Buches wird auch durch die Übungen herausgestellt, die sich an jedem Ende der 24 Kapitel finden und die weniger dem schulischen Abprüfen des ,gelernten` Stoffes dienen, als vielmehr zu weiterem Nachdenken anregen sollen. Allerdings ist Haussers Buch eher in die Kategorie der anspruchsvollen Lehrbücher einzuordnen. Denn es enthält sehr viele Querbezüge (z.B. zur Semiotik, zu Karl Bühler, Tarski, Frege etc.) und Hinweise auf Hintergründe, die der Anfänger erst nach ergänzender Lektüre verstehen und einordnen kann. Dies betrifft z.B. die Ursprünge der PSG in der Automatentheorie und in der Theorie formaler Sprachen bei E. Post 1936, die Hintergründe der Theorie Chomskys (vgl. S. 142) und den oben schon genannten Komplex der modelltheoretischen Semiotik mit all ihren logik- und philosophiegeschichtlichen Facetten. Der Autor spannt damit einen ,Background` auf, der dem wirklich Interessierten hervorragende Anregungen zu weiterem Nachdenken und Nachlesen gibt. Wenn das Buch also in vielerlei Hinsicht auch einfachere Grundlagen der Computerlin- guistik verständlich darstellt, so liegt doch vor allem eine anspruchvolle Gesamtdarstellung vor, die zu Recht die Bezeichnung foundations führt. Es wäre freilich zu wünschen, dass der kognitive Agent, den dieses Gesamtkonzept modelliert, auch in seinen komplexeren Teilen (der semantischen und pragmatischen Interpretation) als Pilotsystem realisiert werden könnte.